Die unfallchirurgische Ausbildung sieht eine dreimonatige Gegenfachzeit an einer Plastischen Chirurgie vor. Da die Gegenfachstellen nicht gerade üppig gesät und oft von „Routinetätigkeiten“ wie Infusionsrunden geprägt sind, wollte ich dies an einer vorwiegend rekonstruktiv tätigen Abteilung absolvieren, an der ich vor allem praktisch profitieren konnte. Das Tygerberg Hospital in Kapstadt schien mir dafür der geeignete Platz.
Tygerberg Hospital Kapstadt. Nach Kontaktaufnahme mit dem Krankenhaus und Prof. Dr. Frank Graewe, dem Leiter der Plastischen Chirurgie, erhielt ich sehr rasch und problemlos eine Zusage. Es folgte ein Papierkrieg der sich ein Jahr lang zog. Gefühlte tausend Emails, mehrere Besuche bei der Südafrikanischen Botschaft, Notar, Ärztekammer, Bank usw. waren notwendig, bis alle bürokratischen Hürden gemeistert waren.
Das Tygerberg Hospital wurde 1976 eröffnet und ist das Ausbildungsspital der Medizinischen Fakultät der Universität Stellenbosch. Es liegt im Bezirk „Parlow“ am Rande von Kapstadt. Dieser ist angrenzend an die sogenannten „Cape Flats“, der weiten Ebene am Fuß des Tafelbergs, in der sich vor allem Arbeiterwohnviertel und auch die meisten Townships befinden. Das Tygerberg Hospital bietet 1900 PatientInnen Platz. Mit 500.000 ambulanten PatientInnen und 25.000 Operationen pro Jahr ist es das zweitgrößte Spital Südafrikas. Zur Zeit der Apartheid war es symmetrisch in einen schwarzen Trakt und einen für die weiße Bevölkerung geteilt. Trotz Renovierungsarbeiten ist dies teilweise noch deutlich in den verschiedenen Stationen zu sehen. Gleich neben dem Spital befinden sich, strikt getrennt hinter Stacheldraht und Sicherheitstüren, die Fakultätsgebäude und der Campus der Medizinischen Universität.
Die Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie umfasst zirka 25 Betten und bietet im Prinzip das gesamte Spektrum der Plastischen Rekonstruktiven Chirurgie an. Das Spektrum umfasst unter anderem Wiederherstellende Mamma Chirurgie, Brustverkleinerungen oder Rekonstruktionen, Exzisionen von Hauttumoren mit plastischer Deckung, Defektdeckungen nach Unfällen mit diversen Lappen, Narbenkorrekturen, Liposuktion, Fatgrafts, Maxillo Facial Surgery, Gaumenspalten, Handchirurgische Eingriffe usw. Prof Graewe selbst ist für Rekonstruktion von kindlichen Schädelfehlbildungen bekannt, wofür PatientInnen aus weiten Teilen des Landes angereist kommen.
Until the work is done. An meinem ersten Arbeitstag wurde ich von der Leiterin des International Office herzlich begrüßt und mit Ausweis und Chipkarte ausgestattet. An der Abteilung wurde ich ebenfalls offen empfangen und mir wurde der Wochenablauf erklärt. Anschließend ging es in die Ambulanz, wo mir - nachdem ich bei der Versorgung von zwei Patienten zugesehen hatte - eine Akte mit den Worten „You have to jump in, my friend“ in die Hand gedrückt wurde. Gesagt getan, bezog ich sogleich mit einem Patienten meine eigene Ambulanzkoje. In der Ambulanz wird man ständig mit Unglaublichem konfrontiert, so sieht man Krankheitsbilder hauptsächlich in Stadien, die man nicht mal aus Büchern kennt. Die PatientInnen kamen nur selten mit kosmetischen Anliegen. So schlug auch mein unfallchirurgisches Herz höher bei der Unzahl an Gesichtsfrakturen, die aufgrund der hohen Anzahl sowohl von den PlastikerInnen als auch von den KieferchirurgInnen versorgt wurden. Hauptsächlich handelt es sich um Folgen eines tätlichen Angriffes, meist mit einem Ziegelstein, oder von Verkehrsunfällen.
Eine der Haupttätigkeiten war das sogenannte „Wirering“. Damit ist die Versorgung einfacher Unterkieferfrakturen gemeint, bei der mittels Drahtschlingen durch die Zahnzwischenräume das Oberkiefer mit dem Unterkiefer fixiert wird. Ein Eingriff der in lokaler Anästhesie durchgeführt wird, wie viele andere Eingriffe auch. Ganz dem Leitspruch „In Africa there are no sissies“, staunte ich nicht schlecht, wie viel in lokaler Anästhesie möglich ist und wie viel an lokaler Anästhesie der menschliche Körper verträgt. So wurden einmal in der Woche in einem „Eingriffsraum“ diese lokalen Eingriffe durchgeführt. Auch hier wurde ich sofort einbezogen und begann Kelloide, Zysten usw. zu entfernen. Fixe Arbeitszeiten gab es nicht - „Until the work is done“ lautete das Motto und so war man froh über jede helfende Hand. Es wurde aber trotz allem auf eine gewisse Arbeitsqualität geachtet, so durfte ich anfangs gar keine Tumore entfernen, am Ende nur mit Supervision.
In Africa there are no sissies. Die PatientInnen nehmen stundelange Wartezeiten und auch tagelange Anreisen auf sich und sind dabei stets freundlich und dankbar für die medizinische Versorgung. Interessant war auch, dass die PatientInnen eine sehr große Eigenverantwortung tragen. So werden sie mit liegenden Drains entlassen, die selbständig entleert werden müssen und der Inhalt vermessen werden muss. Auch große Wunden werden selbstständig gereinigt und verbunden.
Es herrscht ein sehr hohes Ausbildungs- und Wissensniveau bei den ÄrztInnen. So gab es neben wöchentlichen Journal Clubs und Vorträgen für StudentInnen auch im zweiwöchigen Abstand eine Fortbildung für auswertige Plastische ChirurgInnen. Zuerst wurde von einem/r Assistenten/in über ein allgemeines Thema referiert, darauf folgte eine Präsentation von interessanten Fällen oder Themen der älteren KollegInnen, welche anschließend diskutiert wurden. Auch Misserfolge und Komplikationen wurden offen angesprochen und KollegInnen bei komplizierten Fällen um Rat gefragt. Dieser offene Meinungsaustausch herrschte auch im klinischen Alltag. So wurden Fragen an die AusbilderInnen erwartet, wobei man allerdings auch auf sein Wissen getestet wurde.
See one, do one, teach one. Aber nicht nur theoretisch wurde Ausbildung gelebt, „See one, do one, teach one“ ist nicht nur eine leicht dahin gesagte Modephrase sondern wird genau so umgesetzt. Ein rührender Moment dabei war, als einer der Studenten zum ersten Mal eine Wunde nähen durfte. Die Wunde war ziemlich groß und es dauerte doch etwas länger. Als der letzte Knopf geknüpft war, applaudierten alle inklusive Anästhesist und Schwestern und gratulierten dem jungen Kollegen.
Die typisch österreichischen Routinetätigkeiten wie Infusionen, Blutabnahmen, EKG, Venflons usw. sind Aufgaben des Pflegepersonals.
Im Operationsbereich hatte ich die Möglichkeit sehr viel zu assistieren bzw. Eingriffe auch selbstständig durchzuführen. Die Abläufe sind hier im Vergleich zu Österreich sehr ähnlich. Lediglich die hohe HIV Rate - 60 Prozent der PatientInnen - ist eine stetige Stressbelastung. So hat auch jede/r der Plastischen ChirurgInnen bereits mehrmals eine PEP Therapie eingenommen. Die PatientInnen werden präoperativ nicht getestet, bei einer Verletzung beginnt man sofort die Therapie, zeitgleich wird der Patient getestet. In den drei Monaten habe ich selbst zwei solche Verletzungen bei KollegInnen miterlebt, beide gingen glücklicherweise gut – also negativ – aus.
Rückblickend war es wohl eine der prägendsten Zeiten meiner medizinischen Laufbahn, die mich beruflich sicherlich verändert und weiter gebracht hat. So kann ich nur jedem/r meiner KollegInnen eine Auslandserfahrung raten.
Autorin
Dr.in Nina Pühringer, Unfallchirurgie Hanuschkrankenhaus Wien