Coverstory: Gleiches Recht für alle Menschen | Im Visier: Migration und Gesundheit

Österreich ist bereits seit langem ein Einwanderungsland, das ist nicht abzustreiten. Wir können diese Tatsache als Last oder als Chance sehen, in jedem Fall müssen wir uns den damit verbundenen Herausforderungen lösungsorientiert stellen. Das erfordert eine Entemotionalisierung und eine Gleichbehandlung aller Menschen, besonders im Gesundheitsbereich.

Sprachbarrieren gefährden Gesundheit. Fast 20 Prozent der Gesamtbevölkerung Österreichs hat Migrationshintergrund. Statistische Untersuchungen zeigen jedoch, dass wir nicht überlaufen werden und unser Gesundheitssystem den Migrationsfluss durchaus tragen kann. Die Gesundheitszustände sind bei Asylsuchenden und Menschen mit Aufenthaltsstatus sowie ÖsterreicherInnen mit Migrationshintergrund schon aufgrund der persönlichen Historie unterschiedlich.
Interessant ist, dass Einwanderer bis zum 40. Lebensjahr gesünder als die Bevölkerung des Gastlandes sind, dann kehrt sich die Situation aber drastisch um. Gemeinsam bleibt, dass die Gesundheitsrisiken besonders hoch steigen, wenn sozialer Status, sprachliche Ausdrucksfähigkeit und Bildung niedrig sind. Hinzu kommt, dass sich die Geduld des medizinischen Personals bei eingeschränkter Kommunikationsmöglichkeit rascher erschöpft. Hier bedarf es gezielter Interventionen und Investitionen in die entsprechende Schulung des medizinischen Personals einerseits, aber auch vermehrt in die Bildung und die Verbesserung der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeit und der Kommunikationsfähigkeit speziell für Menschen mit Migrationshintergrund. Außerdem bedarf es mehr Information über gesundheitsfördernde Maßnahmen.

Rationalisieren fördert Schlechterstellung. Die so genannte Grundversorgungsvereinbarung (BGBl. I Nr. 80/2004) regelt die Versorgung von „hilfs- und schutzbedürftigen Fremden“,  hierunter fallen auch Asylwerber. Im Asylbereich ist mangelnde Qualität von Dolmetschern, die nicht zuletzt Dumpingangeboten nach Ausschreibungen für Asylbetreuung zuzuschreiben sind, fatal. Das führt entweder unmittelbar zu gesundheitlichen Folgen oder zu unnötig langen und sich wiederholenden Krankheiten. Nicht zuletzt wird erhöhter Kostendruck auch auf das Personal im Asylwesen übertragen und das führt zu Rationalisierung und damit zu vergleichsweiser Schlechterstellung der Asylsuchenden im Gesundheitssystem bereits vor Ort. Das ist laut Genfer Flüchtlingskonvention unzulässig!
Asylanten weisen Prämigrations-Risikofaktoren, wie Traumata durch Flucht und Folter, aber auch Postmigrations-Risikofaktoren durch Haft, Sprachbarrieren, Dolmetscherfehler, Asylprozessverlauf, Diskriminierung, mangelnde Kenntnis des Gesundheitssystems, Scham religiös-ethnischer Natur und durch unterschiedliche Schmerzbeurteilung auf.
Asylanten, die bereits Asyl erhalten haben, und Asylwerber, die sich in einem laufenden Asylverfahren befinden, leiden an verschiedensten Krankheitssymptomen. Die häufigsten sind Zahn- und Zahnfleischprobleme, Folgen nach - oft schlecht oder nicht verheilten - Knochenbrüchen, Scabies, Mangelernährung, Hautläsionen, posttraumatische Belastungsstörungen durch Folter, Vergewaltigung, Verlust von Angehörigen und die Flucht an sich, Depressionen, Suchtprobleme und psychische Probleme auch wegen überlanger Verfahrensdauer und Fehlen sinnvoller Tätigkeiten und oft mangelnder Impfschutz. Hier ist besonders hervorzuheben, dass dieser auch nach Impfungen bei uns – durch mangelnde Sorgfalt?! - gegeben ist. Titerkontrollen sind in jedem Fall sinnvoll.

Humanität reduziert Folgekosten. Bei Zuweisungen zu FachärztInnen, Spitälern, Ambulatorien sind für AsylwerberInnen oft schon die Anreisekosten nicht leistbar, weil sie meist entlegen untergebracht werden. Politische Absicht ist es offenbar, AsylwerberInnen so weit wie möglich von der österreichischen Bevölkerung zu isolieren. Erhöhte Barrieren im Zugang zu medizinischen Leistungen helfen allerdings nicht sparen, sondern verschlimmern und verlängern Leiden und führen zu weit höheren Folgekosten. Das Thema „Asylant“ begleitet uns in den Medien nahezu täglich, die Motivation der Stellung nehmenden Personen ist äußerst unterschiedlich und immer häufiger von starken Emotionen getragen. Das macht eine sachliche Diskussion unmöglich und erschwert in der Folge sinnvolle Lösungen.

Gerade das Thema Gesundheit sollte aber unabhängig vom Status der Patientinnen und Patienten vornehmlich von Empathie und nicht von Ideologien getragen sein. Wir müssen vermehrtes Leid und Frustration vermeiden, bereits damit sparen wir weiteres Leid und Kosten.
In Alltagsdiskussionen gibt es meist eine Begriffsvermengung: Asylwerber, Asylant, Migrant, Ausländer, Gastarbeiter. Auch was die Gesundheit betrifft, muss man hier klar differenzieren.
Asylsuchende haben in manchen Bereichen eine schlechtere Gesundheit. Das ist primär unabhängig von Schuld zu sehen. Ganz wichtig sind also Mindeststandards an Information und Volksbildung, nicht nur für die Migrationspopulation und die österreichische Bevölkerung sondern leider auch für PolitikerInnen und JournalistInnen.

Österreichkunde für Einwanderer und ÖsterreicherInnen ist sinnvoll, aber genauso wichtig ist das Wissen und das Bewusstsein über Grund-, Menschen- und Völkerrecht. Das sollte in Form einfacher Volksbildung bereits in der Schule vermittelt werden, um so Vorurteilen nachhaltig vorzubeugen. Mindeststandards der medizinischen Versorgung im Rahmen unseres medizinischen Systems fußend auf internationalen Verträgen und vor allem im Zweifelsfall getragen von vornehmlich humanitären Prioritäten müssen die Basis der Entscheidungsfindung aller an Patientinnen und Patienten Tätigen sein. Dies zweifelsfrei unabhängig von Rasse, Volksgruppe, Geschlecht, Herkunft, sozialem Status, politischer Gesinnung, Religion, Sprache, Alter oder sexueller Orientierung. Hierfür sind die nötigen Ressourcen basierend auf internationalen Vereinbarungen bereitzustellen.

Ethisch vertretbar ist nur, wenn Recht und Gesetz der Humanität dienen und nicht umgekehrt.

Weiterführende Informationen

Genfer Flüchtlingskonvention
(beachten Sie: Verbürgtes Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Sozialleistungen)

Weltärztebund Deklaration von Helsinki

Europäische Menschenrechtskonvention

Völkerrechte etc.

Autor

Dr. Ahmadolla Abdelrahimsai, Arzt und Vorstandsmitglied NGO "Menschen-Leben"